Warum initiiert die Siemens Stiftung – gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz als Schirmherrin und dem Karlsruher Institut als Partner – ein solches Forum? Die gemeinnützige Unternehmensstiftung engagiert sich mit ihrer internationalen Bildungsarbeit schon seit Jahren für ein wertegeleitetes Lehren und Lernen im Unterricht. Ein wichtiges und grundlegendes Engagement, denn bislang gibt es nur wenige didaktische Methoden, die Fachwissen fördern und gleichzeitig Wertekompetenzen stärken. Die Vorträge, Diskussionsrunden und Gespräche auf der Fachtagung unterstrichen die Notwendigkeit, Wertebildung in den naturwissenschaftlich-technischen Schulfächern zu verankern und deren Anwendung in der pädagogisch-didaktischen Praxis zu intensivieren.
Moderiert durch den Bildungsexperten und Journalisten Lothar Guckeisen, entwickelte sich ein intensiver Austausch darüber, unter welchen Bedingungen Wertebildung im MINT-Unterricht gelingen kann und was auf wissenschaftlicher, politischer und pädagogischer Ebene dafür getan werden muss. Dr. Nathalie von Siemens, Geschäftsführender Vorstand und Sprecherin der Siemens Stiftung, brachte es in ihrer Eröffnungsrede auf den Punkt: „In der Kombination von MINT-Unterricht und Werten liegt ein enormes Potenzial: für den Einzelnen, aber eben auch für die Weiterentwicklung der Gesellschaften. Ein Schatz, der sich zu heben lohnt!“
In zwölf Fokusrunden erarbeiteten Teilnehmer aus ganz Deutschland Gelingensbedingungen und Handlungsbedarfe für die Praxis. Die Ergebnisse gaben wertvolle Anstöße für die abschließende Fishbowl-Diskussion, in der konkrete Handlungsfelder für eine gelingende Wertebildung im Unterricht aufgezeigt wurden. Konsens herrschte bei allen Beteiligten darüber, dass Wertefragen stärker in die naturwissenschaftlich-technischen Fächer integriert werden sollten. Für die praktische Umsetzung fehle es allerdings häufig an zeitlichen, aber auch finanziellen Ressourcen. Die Fachtagung stellte Lösungsansätze vor, die sowohl in der Lehrerfortbildung als auch in der Unterrichtspraxis eingesetzt werden können, wie beispielsweise Methoden zur Wertebildung beim gemeinsamen Experimentieren, Materialien für einen inklusiven Experimentalunterricht, Wertebildung mit der Lehr- und Lernform Service-Learning und Möglichkeiten zum Einsatz von Serious Games.
Wie kann Wertebildung im MINT-Unterricht gelingen? Aus unterschiedlichen Perspektiven und mit verschiedenen Formaten wurden Gelingensbedingungen formuliert und Handlungsbedarfe definiert. Im Folgenden finden Sie eine Dokumentation aller Beiträge und Diskussionen.
Was macht den Mensch zum Menschen? Ihre Begrüßungsrede begann Dr. Nathalie von Siemens mit einem philosophischen Gedankenspiel über die Einzigartigkeit des Menschseins: Welche Faktoren, welche Sichtweisen sind ausschlaggebend? Unsere Wertvorstellungen und Werthaltungen sind nicht nur besondere Differenzierungsmerkmale, sondern auszubildende Fähigkeiten. Die Bedeutung einer gelingenden Wertebildung für die individuelle Entwicklung sei deshalb maßgeblich. Dabei komme es vor allem darauf an, dass Werte schon im frühen Kindesalter möglichst lebens- und alltagsnah vermittelt werden. Hier setzt der MINT-Unterricht an: „Denn wer sich mit naturwissenschaftlich-technischen Fragestellungen auseinandersetzt, kommt nicht umhin, zu reflektieren, zu bewerten, zu entscheiden.“ Dabei seien keine neuen Fächer erforderlich: „Es gilt lediglich, die didaktische Herangehensweise entsprechend zu gestalten.“ Gefragt sind deshalb neue Ansätze, wie beispielsweise forschendes Lernen, verknüpft mit werteleitenden Fragestellungen.
Heidi Weidenbach-Mattar, ständige Vertreterin des Generalsekretärs der Kultusministerkonferenz, betonte in ihrem Grußwort, dass Demokratieerziehung ein Auftrag aller Schulfächer sei. Sie zeigte dabei auch auf, wie die Arbeitsweisen des naturwissenschaftlich-technischen Unterrichts die Wertebildung fördern: „Ein Experiment erfordert in der Regel die Zusammenarbeit im Team, das gemeinsame Nachdenken über mögliche Lösungen, die Diskussion über verschiedene Wege, die Einigung auf einen vielversprechenden Lösungsansatz und nicht zuletzt die gegenseitige Rücksichtnahme. Insbesondere, wenn mit Stoffen hantiert wird, die bei nachlässigem Umgang auch eine Gefahr darstellen können. Hier werden Werte erfahrbar und erlebbar, ohne dass sie eigens thematisiert werden müssen.“
In welcher verantwortungsvollen Wechselbeziehung stehen Naturwissenschaft, Technik und Werte in der forschenden Praxis und was heißt das für den schulischen MINT-Unterricht? Diese Fragen stellte Professor Manfred Prenzel, Bildungsforscher und ehemaliger Vorsitzender des Wissenschaftsrats, in den Mittelpunkt seiner spannenden Keynote. Darin erläuterte er, dass Werte den MINT-Unterricht unterstützen, indem sie ihn bereichern und Reflexionsfläche bieten. „Wir müssen Kontroversen im MINT-Unterricht aufgreifen. Schüler haben ein Interesse daran, sich mit aktuellen und auch kritischen Fragen zu beschäftigen.“ Wie Naturwissenschaften gerade aus Schülerperspektive stärker wertgeschätzt werden können, zeigte Manfred Prenzel anhand einer Vorstellung von naturwissenschaftlicher Grundbildung, die auf Nachwuchsförderung und gesellschaftliche Teilhabe zielt. Insgesamt komme es aber darauf an, sich nicht nur zu Werten zu bekennen, sondern diese auch im Handeln zu nutzen, betonte er zum Abschluss seines Vortrags. Prenzel empfahl, Lehr- und Lernformen wie Service-Learning als wertbezogenes und MINT-kompetentes Handeln stärker im Unterricht zu berücksichtigen. „Es geht darum, Verantwortung als Thema in der Schule aufzugreifen und praxisorientiert umzusetzen.“
„Wie bilden Kinder und Jugendliche Werte?“ Zu dieser Fragestellung diskutierten vier renommierte Experten: Prof. em. Dr. Hans Bertram von der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. med. Hans-Jochen Heinze von der Universitätsklinik für Neurologie in Magdeburg, Prof. Dr. Monika Keller vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin sowie Prof. Dr. Wilfried Schubarth von der Universität Potsdam. Demnach kommen Kinder aufgrund ihrer neurophysiologischen Veranlagung und sozio-psychologischen Frühentwicklung mit einem festen Wertegerüst in die Schule. Als „Werteraum“ (Schulprogramm, Leitbild, Unterricht) forciert oder korrigiert die Schule die Bildung bestimmter Werte. Für die Rolle der Lehrkraft ist zum einen entscheidend, dass sie selbst für den Begriff Wertebildung sensibilisiert ist, zum anderen aber auch über Ressourcen verfügt, wertebildendes Lehren in den Unterricht zu integrieren. Maßgeblich ist dabei die Methode: „Grundwerte müssen über Erfahrung gelebt werden. Wenn man wirklich versteht, was richtig ist, dann handelt man auch danach“, argumentierte Prof. Dr. Monika Keller.
In zwölf interaktiven Fokusrunden erarbeiteten die Teilnehmer Gelingensbedingungen und Handlungsbedarfe für die Praxis. Diskutiert und reflektiert wurden Methoden zur Wertebildung beim gemeinsamen Experimentieren, Ansätze für einen inklusiven Experimentalunterricht, Wertebildung mit der Lehr- und Lernform Service-Learning oder nach dem Konzept Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie Möglichkeiten zum Einsatz von Serious Games. Fokussiert wurden auch die Professionalisierung von Lehramtsanwärtern und Lehrkräften in der Wertebildung und die Rolle der Ethik in den naturwissenschaftlichen Studiengängen.
Serious Games sind nicht neu, dennoch findet der Einsatz zur Wertebildung im Unterricht kaum statt. Das Gaming-Modul zu Experimento unterstützt Jugendliche, wissenschaftliche und technologische Zusammenhänge über verschiedene Dilemma-Szenarien zu entdecken, zu hinterfragen und besser zu verstehen.
Protokoll Block I Protokoll Block III Präsentation
Referent: Jacqueline Schuldt, Gruppenleiterin Gamification, Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT
Aufbauend auf dem Prinzip des forschenden Lernens bietet das Experimentieren im Unterricht die Möglichkeit, für bestimmte Werte zu sensibilisieren. Am Beispiel von Experimento | 8+ werden methodische Ansätze wie Impulstechniken und Dilemmata zur Unterstützung des wertebildenden Lernprozesses in Grundschulen vorgestellt und diskutiert.
Protokoll Block I Protokoll Block II
Referenten: Dr. Sandra Niedermeier, Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) gGmbH und Dr. Marina Lang, IMC AG
Wertebildung im Unterricht kann nur gelingen, wenn ein angstfreies Grundklima in der Klasse garantiert werden kann, das von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist. Entscheidend dafür sind einfühlsame und starke Lehrer, die bereit sind, ihr Verhalten und die Klassendynamik ständig zu analysieren und aktiv am Klassenklima zu arbeiten.
Protokoll Block I Protokoll Block II Präsentation
Referent: Vera Härle, Lehrbeauftragte, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Stuttgart
Das Konzept Bildung für nachhaltige Entwicklung befähigt junge Menschen frühzeitig, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsbewusste Entscheidungen auch außerhalb des Unterrichts zu treffen. Damit werden wesentliche Werte- und Lebenskompetenzen gefördert. Vorgestellt und diskutiert werden Ansätze, wie das Konzept im Unterrichtsgeschehen eingebunden werden kann und welche Lehr- und Lernziele mit Bildung für nachhaltige Entwicklung erreicht werden.
Protokoll Block I Protokoll Block II Präsentation
Referent: Karl Handschuh, Leiter des Staatlichen Seminars für Didaktik und Lehrerbildung GWHRS Meckenbeuren
Service-Learning verbindet schulisches Lernen mit gesellschaftlichem Engagement und fördert so die Wertebildung: Schüler erleben bei ihrem Engagement die gesellschaftliche Relevanz von Naturwissenschaften und Technik und setzen sich damit reflexiv im Unterricht auseinander. Sie ziehen Rückschlüsse für ihre eigene Lebensgestaltung und bauen ihre Wertevorstellungen aktiv aus.
Protokoll Block II Protokoll Block III Präsentation
Referenten: Sandra Zentner, Programmleitung und Stefan Vogt, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Team Lernen durch Engagement, Freudenberg Stiftung
Was muss inklusive Pädagogik im MINT-Unterricht heute leisten? Welche Anforderungen und Standards sind zu berücksichtigen? In einer kurzen Vorstellung werden Einblicke in die inklusive Didaktik und deren praktische Umsetzung gegeben. Anhand inklusiver Experimentiereinheiten wird dann exemplarisch gezeigt und diskutiert, wie Werte im inklusiven MINT-Unterricht gebildet werden können.
Protokoll Block III Präsentation
Referenten: Joachim Kranz, Referent für Naturwissenschaften und Wirtschaft-Arbeit-Technik, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin und Grit Spremberg, Leiterin, iMINT-Akademie
Neue Technologien prägen unsere Gesellschaft. Wissenschaft und Gesellschaft müssen miteinander sprechen, um diesen Prozess auf eine gute Weise gestalten zu können. Studierende der Naturwissenschaften müssen daher lernen, ihr späteres Handeln bewerten und erklären zu können, vor allem, wenn sie Führungsverantwortung übernehmen sollen.
Referent: Professor Dr. Peter Nick, Leiter der Abteilung Molekulare Zellbiologie, Karlsruher Institut für Technologie
Die in den Fokusrunden erarbeiteten Gelingensbedingungen und Handlungsbedarfe für die Praxis können Sie hier herunterladen:
Die Ergebnisse der Fokusrunden gaben wertvolle Anstöße für die abschließende Fishbowl-Diskussion „Gelingensbedingungen und Handlungsbedarfe für Wertebildung im MINT-Unterricht“. Heinz Lingen, Pädagogischer Geschäftsleiter Haus Overbach und ehemaliger Schulleiter des Gymnasiums, em. o. Univ.-Prof. Dr. Jean-Luc Patry, Fachbereich Erziehungswissenschaft, Universität Salzburg, Dr. Ulrich Seiser, Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, Stephan Wassmuth, Vorsitzender des Bundeselternrats sowie Dr. Nathalie von Siemens zeigten konkrete Handlungsfelder zur Wertebildung im Unterricht auf. Gelingensbedingungen dafür seien etwa mehr exemplarische Unterrichtseinheiten mit Wertebezug oder eine grundsätzlich stärkere Verknüpfung von werteorientiertem Handeln und naturwissenschaftlich-technischem Lernen. „Man kann Werte nicht vermitteln, sondern nur Situationen schaffen, in denen die Schüler Werte konstruieren“, argumentierte der Erziehungswissenschaftler Jean-Luc Patry. Als dringlichste Handlungsbedarfe wurden vor allem mangelnde Ressourcen und unzureichende Ausbildung der Lehrkräfte formuliert. Hier gilt es in Zukunft anzusetzen und wegweisende Beispiele und Impulse aus der Fachtagung mit in die Praxis zu nehmen. Denn, so Patry abschließend: „Man verliert nicht an Wissen, sondern gewinnt an Wissen, wenn man Werte anwendet.“
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Hier können Sie die Pressemitteilung als PDF herunterladen. Im Pressepaket haben wir Ihnen zusätzlich Bildmaterial und eine Infografik zum Thema Wertebildung zusammengestellt.
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